Coronavirus und CO2-Ziele
Autoindustrie wünscht Anpassungen im Timing
23. April 2020 agvs-upsa.ch – 95 Gramm CO2 pro Kilometer darf ein Neuwagen in Europa und in der Schweiz in diesem Jahr noch ausstossen. Es drohen Bussen in Milliardenhöhe. Die grossen Auto-Verbände wollen die strengen CO2-Vorgaben nicht in Frage stellen, wünschen sich aber mehr Zeit.
sco. Die Corona-Krise trifft die gesamte Autobranche hart. Die Verkäufe sind eingebrochen, viele Werke stehen still. In anderen werden nicht mehr Autos produziert, sondern Beatmungsgeräte. Gleichzeitig drohen den europäischen Herstellern laut einer Studie des Beratungsunternehmens PA Consulting Strafzahlungen von fast 15 Milliarden Euro, wenn der Flottengrenzwert von 95 Gramm CO2/km bis 2021 nicht erreicht wird.
Der beispiellose Shutdown in Verbindung mit horrenden Bussen stellt die europäische Autoindustrie vor nie gekannte Herausforderungen. In einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bringen die vier grossen Verbände Acea (Hersteller), Clepa (Zulieferer), ETRMA (Reifen) und Cecra (Werkstätten) eine Verschiebung der CO2-Vorgaben ins Gespräch. Es gehe nicht darum, die Klimaziele in Frage zu stellen, heisst es im Schreiben, sondern lediglich um eine Anpassung des Timings: «Derzeit finden keine Produktions-, Entwicklungs-, Test- oder Homologationsarbeiten statt. Dies stört die Pläne, die wir gemacht hatten, um uns darauf vorzubereiten, bestehende und zukünftige EU-Gesetze und Vorschriften innerhalb der in diesen Vorschriften festgelegten Fristen einzuhalten.»
In der Tat ist die Verbindung von fehlenden Erträgen und drohenden Bussen toxisch. Insbesondere die Liquidität stellt die sehr kapitalintensive Branche vor enorme Probleme.
Die EU hat sich zum Schreiben noch nicht geäussert. In der Schweiz jedoch hat sich Christoph Schreyer, beim Bundesamt für Energie (BFE) Leiter Energieeffizienter Verkehr, zu Wort gemeldet. Er glaubt, dass die Corona-Krise den Verkauf von günstigeren Fahrzeugen mit tiefem Verbrauch fördern werde – und verweist auf die Jahre 2008 und 2009 im Nachgang zur Finanzkrise. «In diesen Jahren gingen die CO2-Emissionen der Neuwagenflotten in der Schweiz jeweils um über 4 Prozent zurück. Dies könnte auch diesmal der Fall sein.»
Doch: Aktuell werden in der Schweiz faktisch keine Autos verkauft. Andreas Burgener, Direktor von der Importeursvereinigung Auto-Schweiz, spricht für den April 2020 von einem Minus von 75 bis 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Importeure fürchten, dass die Anzahl der sogenannten Steckerfahrzeuge (reine Elektroautos und Plug-in-Hybride) «noch stärker zurückgehen als der Gesamtmarkt». Verantwortlich seien die nachlassende Nachfrage und Lieferschwierigkeiten.
Im ersten Quartal 2020 legten Hybride mit kombiniertem Elektro-Verbrenner-Antrieb in der Schweiz um fast 38 Prozent zu, die Zulassungen von Plug-in-Hybriden stieg gar um das Zweieinhalbfache, obwohl der Gesamtmarkt um 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr einbrach. Reine Stromer jedoch verzeichneten ein Minus von 16 Prozent.
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Wenn Christoph Schreyer an 2008 und die vielen kostengünstigen Fahrzeuge mit tiefem Verbrauch erinnert, dann fehlt in diesem Rückblick ein ganz wichtiger Teil: 2008 waren Elektrofahrzeuge noch kein Thema, der tiefe Verbrauch wurde mit dem guten, alten Diesel erreicht. 2020 sollen die Garagisten vermehrt Stromer verkaufen – und das sei ein Problem, sagt beispielsweise Kurt Giger von der Ruckstuhl-Gruppe: «Die Nachfrage der Kunden ist leider weitaus geringer als die Erwartungen der Importeure und des Bundes.» Eine Einschätzung, die von einer Studie des renommierten LINK-Instituts im Auftrag des AGVS gestützt wird. Gemäss der repräsentativen Markforschung planen lediglich 12 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer beim nächsten Autokauf ein Elektrofahrzeug zu erstehen. Zu teuer, zu unpraktisch sind die Stromer für viele Menschen. «Zudem gibt es in der Schweiz weder kantonale noch bundesweite wirkungsvolle finanzielle Unterstützungen für den Erwerb eines E-Fahrzeugs», nennt Kurt Giger einen weiteren Grund für die Zurückhaltung der Käufer.
Klare Worte findet auch der frühere VW-Technologiestratege Jens Andersen in einem Interview mit der Website cng-mobility.ch: «Einen E-Boom sehe ich nicht, er wird allenfalls herbeigeredet, weil es opportun ist, für E-Mobilität zu sein.» Andersen fordert einen technologieoffenen Ansatz und eine Betrachtung der CO2-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs: Für den maximalen technologischen Fortschritt bedarf es eines maximalen Wettbewerbs der Technologien.» Die Fixierung der Politik auf den Elektroantrieb habe, so Andersen, «teilweise schon religiöse Züge».
Und wenn wir schon beim Stichwort «religiöse Züge» sind: Was ist von der Schweizer Politik zu erwarten? Jürg Grossen, grünliberaler Nationalrat und Präsident von Swiss E-Mobility, schlägt im «Tages-Anzeiger» vor, dass die Autobranche die Krise als Chance nutzen soll, um «endlich auf einen vernünftigen Klima- und Umweltschutz umzuschwenken». Mehr Sinn für die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäten beweist Martin Schmid (FDP/GR), Präsident der ständerätlichen Umweltkommission. Er hält eine Verschiebung der CO2-Ziele für denkbar. Voraussetzung: «Wenn die geltend gemachten Probleme nachgewiesen sind und beispielsweise auch die EU Anpassungen vornimmt.» Mit anderen Worten: Warten auf Brüssel – wie so oft.
sco. Die Corona-Krise trifft die gesamte Autobranche hart. Die Verkäufe sind eingebrochen, viele Werke stehen still. In anderen werden nicht mehr Autos produziert, sondern Beatmungsgeräte. Gleichzeitig drohen den europäischen Herstellern laut einer Studie des Beratungsunternehmens PA Consulting Strafzahlungen von fast 15 Milliarden Euro, wenn der Flottengrenzwert von 95 Gramm CO2/km bis 2021 nicht erreicht wird.
Der beispiellose Shutdown in Verbindung mit horrenden Bussen stellt die europäische Autoindustrie vor nie gekannte Herausforderungen. In einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bringen die vier grossen Verbände Acea (Hersteller), Clepa (Zulieferer), ETRMA (Reifen) und Cecra (Werkstätten) eine Verschiebung der CO2-Vorgaben ins Gespräch. Es gehe nicht darum, die Klimaziele in Frage zu stellen, heisst es im Schreiben, sondern lediglich um eine Anpassung des Timings: «Derzeit finden keine Produktions-, Entwicklungs-, Test- oder Homologationsarbeiten statt. Dies stört die Pläne, die wir gemacht hatten, um uns darauf vorzubereiten, bestehende und zukünftige EU-Gesetze und Vorschriften innerhalb der in diesen Vorschriften festgelegten Fristen einzuhalten.»
In der Tat ist die Verbindung von fehlenden Erträgen und drohenden Bussen toxisch. Insbesondere die Liquidität stellt die sehr kapitalintensive Branche vor enorme Probleme.
Die EU hat sich zum Schreiben noch nicht geäussert. In der Schweiz jedoch hat sich Christoph Schreyer, beim Bundesamt für Energie (BFE) Leiter Energieeffizienter Verkehr, zu Wort gemeldet. Er glaubt, dass die Corona-Krise den Verkauf von günstigeren Fahrzeugen mit tiefem Verbrauch fördern werde – und verweist auf die Jahre 2008 und 2009 im Nachgang zur Finanzkrise. «In diesen Jahren gingen die CO2-Emissionen der Neuwagenflotten in der Schweiz jeweils um über 4 Prozent zurück. Dies könnte auch diesmal der Fall sein.»
Doch: Aktuell werden in der Schweiz faktisch keine Autos verkauft. Andreas Burgener, Direktor von der Importeursvereinigung Auto-Schweiz, spricht für den April 2020 von einem Minus von 75 bis 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Importeure fürchten, dass die Anzahl der sogenannten Steckerfahrzeuge (reine Elektroautos und Plug-in-Hybride) «noch stärker zurückgehen als der Gesamtmarkt». Verantwortlich seien die nachlassende Nachfrage und Lieferschwierigkeiten.
Im ersten Quartal 2020 legten Hybride mit kombiniertem Elektro-Verbrenner-Antrieb in der Schweiz um fast 38 Prozent zu, die Zulassungen von Plug-in-Hybriden stieg gar um das Zweieinhalbfache, obwohl der Gesamtmarkt um 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr einbrach. Reine Stromer jedoch verzeichneten ein Minus von 16 Prozent.
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Wenn Christoph Schreyer an 2008 und die vielen kostengünstigen Fahrzeuge mit tiefem Verbrauch erinnert, dann fehlt in diesem Rückblick ein ganz wichtiger Teil: 2008 waren Elektrofahrzeuge noch kein Thema, der tiefe Verbrauch wurde mit dem guten, alten Diesel erreicht. 2020 sollen die Garagisten vermehrt Stromer verkaufen – und das sei ein Problem, sagt beispielsweise Kurt Giger von der Ruckstuhl-Gruppe: «Die Nachfrage der Kunden ist leider weitaus geringer als die Erwartungen der Importeure und des Bundes.» Eine Einschätzung, die von einer Studie des renommierten LINK-Instituts im Auftrag des AGVS gestützt wird. Gemäss der repräsentativen Markforschung planen lediglich 12 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer beim nächsten Autokauf ein Elektrofahrzeug zu erstehen. Zu teuer, zu unpraktisch sind die Stromer für viele Menschen. «Zudem gibt es in der Schweiz weder kantonale noch bundesweite wirkungsvolle finanzielle Unterstützungen für den Erwerb eines E-Fahrzeugs», nennt Kurt Giger einen weiteren Grund für die Zurückhaltung der Käufer.
Klare Worte findet auch der frühere VW-Technologiestratege Jens Andersen in einem Interview mit der Website cng-mobility.ch: «Einen E-Boom sehe ich nicht, er wird allenfalls herbeigeredet, weil es opportun ist, für E-Mobilität zu sein.» Andersen fordert einen technologieoffenen Ansatz und eine Betrachtung der CO2-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs: Für den maximalen technologischen Fortschritt bedarf es eines maximalen Wettbewerbs der Technologien.» Die Fixierung der Politik auf den Elektroantrieb habe, so Andersen, «teilweise schon religiöse Züge».
Und wenn wir schon beim Stichwort «religiöse Züge» sind: Was ist von der Schweizer Politik zu erwarten? Jürg Grossen, grünliberaler Nationalrat und Präsident von Swiss E-Mobility, schlägt im «Tages-Anzeiger» vor, dass die Autobranche die Krise als Chance nutzen soll, um «endlich auf einen vernünftigen Klima- und Umweltschutz umzuschwenken». Mehr Sinn für die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäten beweist Martin Schmid (FDP/GR), Präsident der ständerätlichen Umweltkommission. Er hält eine Verschiebung der CO2-Ziele für denkbar. Voraussetzung: «Wenn die geltend gemachten Probleme nachgewiesen sind und beispielsweise auch die EU Anpassungen vornimmt.» Mit anderen Worten: Warten auf Brüssel – wie so oft.
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