Sehtest für autonome Autos

Autonomes Fahren

Sehtest für autonome Autos

27. April 2021 agvs-upsa.ch – Autos, die autonom von A nach B navigieren, sollen in einigen Jahren Alltag sein. Doch der Weg zu einer Strassenzulassung ist noch weit. Ein wichtiger Aspekt: Wie lässt sich erkennen, ob ein selbstfahrendes Auto mit zunehmendem Alter «blind» geworden ist, die Sensoren also ausgetauscht werden müssten? Eine Empa-Forscherin sucht mit ihrem Team nach einer Lösung.

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Der Radar- und Laserbestückte Lexus auf dem Empa-Campus. Miriam Elser und ihr Team konzipieren die Fahrversuche. Fotos: Empa

Pd. Der fünf Meter lange Lexus RX-450h führt an der Empa ein eher beschauliches Leben. Grosse Reisen sind ihm nicht vergönnt. Stattdessen dreht das SUV brav seine Runden auf einem nur 180 Meter langen Spezialparcours in einem abgetrennten Hinterhof des Empa-Campus. Besonders spektakulär ist die Szenerie nicht: Die Mobileye-Camera hinter der Frontscheibe sieht frisch aufgemalte Fahrbahnmarkierungen auf altersschwachem Beton; das Velodyne-Lidar scannt bei jeder Runde die Fensterfront des immer gleichen Laborgebäudes, und das Delphi-Radar hinter dem Kühlergrill des Lexus misst routiniert den Abstand zu fünf blechernen Abfallmulden, die links und rechts des Parcours aufgestellt sind.

Tausende Meilen weiter westlich, an der US-amerikanischen Pazifikküste, sieht alles etwas dramatischer aus. «Wow, ich hätte nicht gedacht, dass das Auto das kann», sagt Sam Altman. Er ist Chef der Firma Open AI, die künstliche Intelligenz entwickelt und an der Elon Musk und Microsoft beteiligt sind. Altman sieht sich zusammen mit Kyle Vogt ein Video an. Vogt ist CTO und Mitgründer der Firma Cruise LLC, die heute zu General Motors gehört. Das Video ist auch auf Youtube zu sehen und zeigt, wie ein Versuchsfahrzeug von Cruise 75 Minuten lang durch San Francisco fährt und mit nur ganz wenigen Eingriffen von Programmierern alle innerstädtischen Fahrsituationen meistert. Es überholt stehende Müllwagen, auch wenn Gegenverkehr bereits in Sicht ist, und kann an kleinen Kreuzungen selbständig links abbiegen, selbst wenn Fussgänger zur gleichen Zeit die Fahrbahn queren wollen.

Wenn die Kalifornier schon so weit sind, welchen Sinn macht es dann in einem Hinterhof in Dübendorf herumzukurven? Miriam Elser kann das erläutern. Sie arbeitet im Empa-Labor für Fahrzeugantriebssysteme und leitet das Projekt mit dem Lexus. Damit betritt die Empa Neuland: Bisher hatte sie sich mit Antrieben, erneuerbaren Treibstoffen und Abgasreinigung, aber auch mit dem Betrieb von Fahrzeugen beschäftigt. Nun geht es erstmals um selbstfahrende Autos. «Wir untersuchen, wie diese Sensoren bei unterschiedlichen Umgebungsbedingungen arbeiten, welche Daten sie sammeln und wann sie Fehler machen oder gar ausfallen», sagt die Forscherin. «Jeder menschliche Fahrer muss einen Sehtest bestehen, bevor er eine Fahrerlaubnis erhält. Berufsfahrer müssen diesen Test regelmässig wiederholen. Wir wollen einen Sehtest für autonome Fahrzeuge entwickeln, damit man ihnen auch dann noch trauen kann, wenn sie schon mehrere Jahre alt sind und tausende Kilometer auf dem Buckel haben.»

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Was sieht ein Auto? Laserscan der Empa-Teststrecke (r.).

Das Thema ist bislang recht stiefmütterlich behandelt worden: Unter mehr als 1000 öffentlichen Forschungsarbeiten zum Thema autonomes Fahren, die in den vergangenen fünf Jahren erschienen sind, beschäftigen sich nur rund 20 mit der Qualität der Sensordaten. Die Verarbeitung der Daten geschieht buchstäblich in einer «Black Box». Das Know-how ist viel Geld wert und wird sorgfältig gehütet von Google, Apple, Tesla, Cruise LLC und den anderen grossen Herstellern, die an autonomen Fahrzeugen forschen. Sie lassen sich nicht in die Karten schauen.

Die Sensorqualität spielt für eine spätere Zulassung autonom fahrender Autos im öffentlichen Verkehr eine wichtige Rolle. Die Betriebssicherheit solcher Autos fällt in den Zuständigkeitsbereich des Bundesamts für Strassen (Astra), das die Forschungsarbeit finanziell unterstützt. Das Astra will die Funktionsfähigkeit der autonomen Systeme in regelmässigen Abständen beurteilen können – und zwar unabhängig von den Herstellern. Die Experten der Behörde möchten zudem auch eine Art «Zeugenbefragung» möglich machen, wenn ein autonom fahrendes Auto in einen Unfall verwickelt war. Das Problem dabei: Die Sensoren sammeln enorme Datenmengen pro Sekunde. Diese Flut an Rohdaten zu analysieren, wäre unzumutbar für Unfallermittlungsbehörden. Irgendwann in Zukunft muss also per Gesetz festgelegt werden, welche Daten im Auto gespeichert und für Ermittlungen zugänglich gemacht werden müssen.

Dazu kommt: Das Astra bereitet sich auf die Genehmigung von Feldversuchen mit selbstfahrenden Fahrzeugen auf öffentlichen Strassen vor. Doch wie lässt sich beurteilen, ab wann es gefährlich wird? Wo versagen Sensoren, und wo machen sie solch gravierende Fehler, dass der Versuch abgebrochen oder modifiziert werden müsste? Bereits fürs Monitoring solcher Feldversuche ist es nötig, die «Sehkraft und Urteilsfähigkeit» autonom fahrender Autos rasch und genau einschätzen zu können.
Das Projekt ist Teil einer Digitalisierungsinitiative des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Energieforschung im Bereich Mobilität (SCCER Mobility), mitfinanziert von der Innosuisse, vom Astra und von Wirtschaftspartnern. Während die Empa handelsübliche Sensoren im praktischen Einsatz untersucht, analysiert das Eidgenössische Institut für Metrologie (METAS) die gleichen Sensoren in einer Laborumgebung. Die kommende Generation von Fahrzeugsensoren ist ebenfalls bereits Gegenstand der Forschung. Diesen Projektteil übernimmt das Institut für dynamische Systeme und Regelungstechnik der ETH Zürich.

Für die Entwicklung von Grundlagen für Bewertungsmethoden autonom fahrender Autos bleibt nicht mehr viel Zeit. Der Wettbewerb rund um selbstfahrende Autos ist enorm, und die Automobilindustrie könnte ihre Fahrzeuge bereits bald dafür ausrüsten. Ob selbstfahrende Autos Unfälle und Verkehr vermeiden können, ist Gegenstand vieler Untersuchungen. Entscheidend sind gute gesetzlichen Rahmenbedingungen. Der Trend, dass die Fahrzeugsoftware das Fahren zunehmend unterstützt, ist aber unaufhaltsam.

Quelle: Empa
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