Finanzierung/Investition
«Der nächste Fussboden kommt bestimmt»
14. Dezember 2017 agvs-upsa.ch – Die Wirtschaft funktioniert simpel: Bei einer Fehlinvestition trägt das Unternehmen das Risiko. Im Autogewerbe ist dies aber nicht ganz so einfach – die Importeure geben bei Investitionen, gerade bei baulichen oder technischen Standards, den Ton an. Die Garagisten müssen mitziehen, um ihre Markenverträge zu erfüllen. Ein schwieriges Thema, das am Atelier de la Concurrence vom 12. Dezember in Bern kritisch beleuchtet wurde.
Im Gespräch mit dem Publikum: (v. l.) Prof. Dr. Roger Zäch (ehemaliger Vizepräsident Weko), Christoph Keigel (Garage Garage Keigel AG, Präsident des Renault-/Dacia-Händlerverbands Schweiz),Prof. Dr. Iur. Patrick L. Krauskopf (ZHAW), AGVS-Zentralpräsident Urs Wernli und Alexander Koprivnikar (Bundeswettbewerbsbehörde Österreich). (Bild ZHAW)
Das Gutachten des Zentrums für Wettbewerbs- und Handelsrecht [PDF]
tki. So viel vorweg: Das Thema Investitionsschutz bei Grossanschaffungen fliegt im Arbeitsalltag oft unter dem Radar, ist aber ein heisses Eisen. Ein Beispiel: Eine Automarke wechselt alle sieben Jahre ihre Corporate Identity. Neue Aussensignalisierungen, Bodenbeläge, Möblierung, Verkäuferarbeitsplätze, Farbgestaltung, Briefschaften sind die Folge – das Autohaus muss mitziehen und tief ins Portemonnaie greifen. «Vorbei sind die Zeiten, in denen ich einen neuen Fussboden in 40 Jahren abschreiben konnte, das muss in sieben Jahren gemacht werden. Denn der nächste Fussboden kommt bestimmt», dachte Christoph Keigel von der Garage Keigel AG mit Standorten in Füllinsdorf, Frenkendorf, Basel, Oberwil und Zwingen laut.
Den Praxiserfahrungen des Präsidenten des Renault-/Dacia-Händlerverbands der Schweiz wurde mit Spannung, Empathie, aber durchaus auch mit Unmut gelauscht. Denn das zugrundeliegende Problem ist allen bekannt. «Wenn einem Generaldirektor eines Autoherstellers meine Nase nicht mehr passt, findet er im Händlervertrag bestimmt eine Klausel, ein Schlupfloch, um mich von heute auf morgen loszuwerden», erklärte Keigel die Notwendigkeit auf ein gutes, symbiotisches Verhältnis mit der Marke.
Chancen im Recht
«Ausserdem häufen sich die Kontrollen. Wir sind hinsichtlich der aufdiktierten Investionen nicht nur auf Liquidität, sondern in der Rolle als Arbeitsgebers mit Verantwortung auch auf Planbarkeit und Sicherheit angewiesen. Die Situation bereitet uns Bauchschmerzen», so ein Garagist en passant.
Anlass für diesen Erfahrungsaustausch bot das XXVI. Atelier de la Concurrence der Zürcher Hochschule für Wissenschaft (ZHAW), genauer der School of Management and Law, die mit Prof. Dr. Patrick Krauskopf im Hotel Schweizerhof in Bern durchgeführt wurde. An der Tagung wurde diskutiert, welche rechtlichen Möglichkeiten Garagisten gegenüber den übermächtigen Importeuren haben – und welche Grenzen praktisch und rechtlich bestehen.
Kritische Untersuchung für den AGVS
Die ZHAW untersucht im Auftrag des AGVS seit 2009 den Automobilmarkt, die Kfz-Bekanntmachung, die Kfz-Verträge und die Nutzung von Kundendaten im Kfz-Gewerbe systematisch. Dabei gilt es zunächst über einige Branchenspezialitäten im Klaren zu sein: Das Autogewerbe, namentlich vor allem die Händler und Werkstattbetriebe, stehen in einer besonders starken Abhängigkeit zu den Importeuren. Denn letztere bestimmen weitgehend einseitig über den Inhalt der Händler- und Werkstattverträge.
In diesen Verträgen und ihren Anhängen finden sich vom Hersteller geforderte Verpflichtungen zu teilweise hohen Investitionen: Grossanschaffungen zur Gestaltung des Showrooms, bei der Werkstattausrüstung oder generell zur Erreichung der geforderten technischen Standards. Etwa beim Thema EDV oder Weiterbildung muss der Garagist die herstellerseitigen Vorgaben meist selbst berappen oder einen Kredit aufnehmen. Damit stellt sich dem betroffenen Garagisten auch die Frage, wie und wann die Investitionen amortisiert werden können.
Ein Blick in den Osten
Während die Schweizer Gesetzgebungspraxis rund um Kartell- und Vertragsrecht im Hamsterrad zu drehen scheint, sind in Österreich verschiedene Bestrebungen zur Stärkung der kleineren und mittleren Unternehmen gegenüber marktbeherrschenden Firmen wahrzunehmen. Untersuchungen, die zwar über längere Zeit kritisch und fundiert angestellt wurden, aber nicht in abschliessenden Sachentscheiden gemündet haben, wie Alexander Koprivnikar von der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde in Wien offenlegte: «Die unternommenen Schritte sehen auf den ersten Blick gut aus, doch die Diskussion wird meist auf einem abstrakten Niveau geführt», erklärte er, weshalb er dem Publikum keine Patentlösung präsentieren konnte.
Wettbewerb Ja, Ohnmacht Nein
Dennoch: Das Problem bleibt dasselbe. Wie ist ein Interessenskonflikt in einem Umfeld mit verschieden starken Automarken und einer nicht homogenen Händlerstruktur zu beurteilen? Wie wird Marktbeherrschung definiert? Wo beginnt Willkür? Fragen, die eine Einzelfalluntersuchung bedingen. «Und dafür fehlt dort wie hier das Verständnis, wie unsere Branche funktioniert», betonte AGVS-Zentralpräsident Urs Wernli.
Falsch sei hingegen die von der Politik oft wahrgenommene Jammerhaltung des Automobilgewerbes. «Wir Garagisten sind nicht gegen den Wettbewerb. Wir sind Unternehmer, die Konkurrenz kennen und wünschen, sei es im Handel oder im Werkstattbereich», stellte Urs Wernli bei der abschliessenden Podiumsdiskussion unmissverständlich klar. «Doch die Schweizer Gesetzgebungspraxis ist so, und das sage ich unverblümt, in den kommenden Jahren nicht mehr haltbar.»
Handlungsbedarf ortet auch Prof. em. Dr. Roger Zäch, der ehemalige Weko-Vizepräsident, würden doch wegweisende politische Vorstösse auf die lange Bank geschoben und das geltende Kartellrecht genüge nicht in allen Belangen. «Man sagt, dass der Garagist geschützt werden muss. Das ist falsch! Das Kartellgesetz müsste die Mächtigen zähmen», dies das Plädoyer des Juristen.