Ein fast 98-jähriges Start-up

Sascha Heiniger im Interview

Ein fast 98-jähriges Start-up

13. April 2023 agvs-upsa.ch – In den letzten zwei Jahren konnte Polestar hierzulande 859 respektive 814 Fahrzeuge immatrikulieren. Doch die schwedisch-chinesische Elektromarke hatte mit ihrem Schweizer Start mitten in der Pandemie Herausforderungen zu meistern. Wir sprechen mit Schweiz-Chef Sascha Heiniger auch darüber, welche Rolle Garagisten für die Marke mit online zu bestellenden Autos spielen.

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Chef Sascha Heiniger und sein Team freuen sich darauf, dass neben dem Polestar 2 (Bild) in diesem Jahr mit dem SUV ­Polestar 3 nun ein weiteres Modell auf den Markt kommt. Fotos: Polestar

jas. Dank einer voll auf Nachhaltigkeit bedachten Premium-Philosophie wächst Polestar, einst die Volvo-Sporttochter und nun eine Elektromarke des Mutterkonzerns Geely, weltweit massiv. Inzwischen ist Polestar mit in Schweden entwickelten, in China gebauten Modellen bereits in rund 30 Ländern vertreten, hat seinen Absatz in nur zweieinhalb Jahren von nahezu null vor allem dank des Polestar 2 auf über 100 000 Stück gesteigert und baut sein Modellangebot aus. Doch welche Rolle spielen Garagisten eigentlich für Polestar?

Herr Heiniger, was macht Polestar anders als der klassische Autohandel?
Sascha Heiniger, Managing Director von Polestar Schweiz:
Das klassische Autobusiness ist ein B2B-Geschäft zwischen Händler und Importeur respektive Hersteller. Gleichzeitig machen die Importeure aber B2C-Werbung. Meiner Meinung nach krankt das traditionelle Businessmodell an der Überproduktion. Die zu viel produzierten Fahrzeuge werden in ein bestimmtes Land geliefert und dann weiter an einen Händler – samt allen Incentives. Der Händler kauft die Fahrzeuge, bindet viel Geld und wird, wenn sich diese nicht schnell verkaufen, verständlicherweise nervös. Dann gibt es Rabatte – und das «Spiel» beginnt. Bei Polestar verfolgen wir ein anderes Modell. Wir arbeiten mit Partnern, respektive Investoren, die für uns Dienstleistungen ausführen, jedoch keine Autos abkaufen müssen. Denn Polestar verkauft nur direkt und online an Kunden. So können Kunden bei uns auch nicht einfach in einen unserer bislang drei Schweizer Polestar Spaces kommen, Cash auf den Tisch legen und sagen: Ich möchte den Polestar 2 kaufen.

Was passiert denn dann?
Unsere Space-Mitarbeitenden können dem Kunden ein Tablet geben und ihn bei der eigentlichen Onlinebestellung des Fahrzeuges unterstützen. Den Kauf abschliessen jedoch, das macht der Kunde selbst.

unbenannt-1.jpgDie Polarstar-Schnellladestation in Laax GR wird zu 100 Prozent mit erneurbarer, lokaler Solar- und Hydroenergie versorgt.

Wie lange dauert es, bis man einen heute bestellten Polestar kriegt?
Aktuell sind es etwa drei Monate. Es gibt aber auch bereits vorkonfigurierte Fahrzeuge, die sind in gut drei bis vier Wochen beim Kunden.

Um noch einmal auf die Polestar-­Investoren zurückzukommen: Was genau ist deren Aufgabe?
Sie stellen den Polestar Space, also den Showroom, und das Team der Polestar-Spezialisten und -Spezialistinnen. Im Gegenzug erhalten sie eine Beteiligung an den verkauften Modellen. Der Investor muss also keine Fahrzeuge selbst auf eigenes Risiko kaufen. Der Investor macht auch die Fahrzeugübergaben, in einem unserer drei Übergabezentren in Bellach SO, Thalwil ZH und Genf. Hierfür erhält er ebenfalls eine Entschädigung. Im Moment sind wir zudem daran, «Home Delivery» zu prüfen, falls ein Kunde nicht in eines der drei Zentren kommen will und das Auto zuhause erhalten möchte.

Für Polestar hat sich somit das digitale Vertriebsmodell bewährt?
Ja, es funktioniert sehr gut. Die Entscheidung, mit Partnern zu arbeiten, hat es Polestar auch erlaubt, schnell zu wachsen. Und dank Volvo, sind wir so etwas wie ein 98-jähriges Start-up, da wir bei bestimmten Entwicklungen auf Ressourcen und Know-how, aber auch Infrastruktur von Volvo und seinen Partnern zurückgreifen können.

unbenannt-1-heiniger.jpgSascha Heiniger, Managing Director von Polestar Schweiz.

Das heisst konkret?
Volvo-Händler können, wenn sie dies wollen, zu einem Polestar-Servicepartner werden und Garantiearbeiten an unseren Fahrzeugen vornehmen. Für viele Kunden ist es ein wichtiges Argument, wenn sie zu einer neuen Art der Mobilität wechseln, dass sie auf den bewährten Service zählen können. So wird ihnen eine mögliche Unsicherheit genommen und eine bekannte Ansprechperson gegeben.

Wie sieht es bezüglich der Polestar Spaces aus? Reichen drei Stück?
Wir möchten in grösseren Schweizer Städten und Ballungszentren noch weitere Showrooms und Testfahrt-Möglichkeiten anbieten. Denn es ist wichtig, die Marke Polestar erlebbar zu machen. Meine These ist, dass sich Schweizerinnen und Schweizer heute in einem Radius von etwa 30 Kilometer bewegen. Daher fährt ein Genfer im Normallfall nicht nach Lausanne. Es ist nicht immer ganz einfach, diese Logik einem Nicht-Schweizer im Polestar-Hauptquartier zu erklären (lacht). In Zukunft wird dieser Radius wohl noch etwas grösser, aber dennoch wollen wir die Ballungszentren mit unserer Marke noch besser abdecken. Auch die Möglichkeit, Testfahrten durchzuführen, ist ein wichtiges Thema. Die grosse Frage ist, wie man an Testfahrten kommt, wenn man als Marke nicht gleich 70 Händler hat…

Wie denn?
Wir machen Roadshows in Gebieten, wo wir nicht mit einem fixen Standort präsent sind und gehen dorthin, wo viele Leute sind. Wir bieten zudem punktuell auch «Testdrives at home» an und wollen dieses Angebot noch weiter ausbauen. Es geht dabei auch darum, Sachen auszuprobieren. Und, wenn es nicht funktioniert, schnell zu reagieren und etwas zu ändern.

unbenannt-1-studio.jpgDas neue Designstudio der Marke im schwedischen Göteborg.

Wohin geht die Reise bei Polestar noch?
Wir freuen uns sehr auf unser drittes Modell, den SUV Polestar 3, der ab diesem Sommer in unsere Spaces kommt. Zudem zeigen wir noch dieses Jahr den Kompakt-SUV Pole­star 4 für das Jahr 2024. Nächstes Jahr präsentieren wir den Polestar 5, eine Premium-Limousine, welche 2025 auf den Markt kommt. 2026 schliesslich kommt der Pole­star 6, unser einzigartiger Roadster, den wir unter anderem schon beim Festival of Speed in Goodwood vorgestellt haben.

Wie sieht die Konkurrenz zur Muttermarke Volvo aus, die auch elektrisch wird?
Wenn ich das jeweilige Portfolio anschaue, dann entwickeln sich die beiden Marken in verschiedene Richtungen, selbst wenn der Antrieb am Schluss bei beiden elektrisch ist. Volvo bleibt Volvo, familiär und etwas weicher als Marke. Polestar positioniert sich progressiver. So sprechen wir auch nicht dasselbe Zielpublikum an. Gleichzeitig ergänzen sich die beiden Marken gut. Wir sind sehr glücklich, dass wir mit unserer Marke auf ein hervorragendes Volvo-Servicenetzwerk setzen dürfen. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch nicht verstecken. Denn wir bringen den teilnehmenden Volvo-Händlern neues Business im Bereich Service, Garantie, Zubehör und Reparatur.

Wie sieht das Occasionsgeschäft bei Polestar aus?
Leicht anders als im traditionellen Modell, da wir ja keine Händler haben. Hat man ein Eintauschfahrzeug, so kann bei einem unserer Partner ein Eintauschangebot eingeholt werden. Andererseits bieten wir auf unserer Website auch sogenannte «pre-owned» Pole­star-Fahrzeuge an. So haben Polestar-Kunden auch bei einem Gebrauchtwagen dasselbe Kauferlebnis wie bei einem Neuwagen. 

unbenannt-1-cabrio.jpgDas Conceptcar des Pole­star 6, eines einzigartigen Roadsters, wurde u.a. schon beim legendären Festival of Speed in Goodwood (UK) vorgestellt.

Was passiert eigentlich bei einem ­Problem mit einem Polestar?
Dann rufen Polestar-Kunden unseren Kundendienst an oder melden sich über die App. Wir versuchen, ihnen mit unseren Experten direkt weiterzuhelfen oder leiten sie, falls nötig, zu einem unserer schweizweiten Polestar-Servicepoints respektive zu einem der teilnehmenden Volvo-Händler.

Funktioniert diese Zusammenarbeit mit den Volvo-Händlern gut?
Ja. Zu Beginn waren viele Händler schon enttäuscht, dass sie nicht auch Polestar-Fahrzeuge verkaufen durften. Doch ich denke, wir haben ihnen aufzeigen können, dass Polestar auch ohne Verkauf eine spannende Marke für sie ist. Sie erhalten Umsatz in der Werkstatt, können beispielsweise neuen Kunden Pneus verkaufen oder einlagern oder weitere Zusatzgeschäfte generieren. Letztlich bleibt so auch gemeinsames Business in der Gruppe.

Aber reicht das noch?
Die Reise geht bei elektrischen Fahrzeugen hin zu mehr Leichtbau, neuen Materialien und immer mehr Sensoren. Hier liegt neues Einkommenspotenzial bei Reparatur und Unterhalt. Das heisst: Als vorausschauender Garagist sollte man sein Geschäft schon jetzt darauf ausrichten. Es wird aber auch einen Trend zu Gruppenbildungen bei Garagen geben, um Synergien in Marketing, Finanzen und IT nutzen zu können. Der Knackpunkt für viele Garagisten ist wohl die Frage: Wann ist es so weit, dass ich weniger oder keine Verkäufer mehr benötige? Wann ist der Moment, an dem ich die Werkstatt anders auslaste? Man darf nicht zu früh dran sein, ab eben auch nicht zu spät.

unbenannt-1-heiniger-2.jpgSascha Heiniger, Managing Director von Polestar Schweiz.

Wie sieht es mit der wachsenden Konkurrenz im Elektrosegment aus?
In diesem Bereich wird sich mit Sicherheit noch viel entwickeln. Schaut man nach Norwegen, so ist damit zu rechnen, dass Elektromarken wie BYD, Nio oder MG in Zukunft auch in die Schweiz kommen werden. Aiways und Lucid sind schon da. Für mich ist jedoch eine andere Frage zentral: Wer schafft es hierzulande, eine Marke mit relevanten Werten zu füllen und zu etablieren? Unser Marktsegment wird sicherlich nochmals belebter, aber wir sind überzeugt von unserem Produkt und von unserer Marke. Daher wollen wir auch in der Schweiz weiter wachsen.

Trotz neuen Marken sieht die Zukunft für Garagisten etwas weniger rosig aus, oder täuscht das?
Ich bin überzeugt, dass es Garagisten auch in Zukunft geben und brauchen wird. Auch für Polestar sind sie, wie schon gesagt, sehr wichtig! Ich denke aber, dass es wichtig ist, mit offenen Augen in die Zukunft zu gehen. Beim aktuell stattfindenden Wandel die Augen zu schliessen und zu hoffen, dass «die ganze Geschichte» wieder vorbeigeht, ist sicherlich keine gute Strategie. Aber jene Garagisten, welche die Transformation sehen und sie aktiv annehmen, werden davon auch profitieren können. 
 
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