Thomas Hurter im Interview
«Grundsätzlich halten wir Verbote nie für eine Lösung»
28. Oktober 2022 agvs-upsa.ch – Der AGVS-Zentralpräsident spricht im Interview mit der «Automobil Revue» über sein erstes Jahr als Verbandspräsident, die bevorstehenden eidgenössischen Wahlen und die momentane Situation im Autogewerbe.
AGVS-Zentralpräsident Thomas Hurter hält im Interview mit der Fachzeitschrift «Automobil Revue» und AR-Redaktor Raoul Studer fest, dass es dem Autogewerbe nicht an Herausforderungen mangelt. Lesen Sie hier das ganze Interview aus der aktuellen «Automobil Revue» vom 27. Oktober 2022.
AGVS-Zentralpräsident Thomas Hurter. Quelle: AGVS-Medien
Seit etwas mehr als einem Jahr ist Thomas Hurter AGVS-Zentralpräsident und damit Nachfolger von Urs Wernli. Das erste Amtsjahr war für den Schaffhauser SVP-Nationalrat gleich ein turbulentes. Wir haben mit ihm über die Politik, die Mobilitätswende, die Garagenbetriebe und vieles mehr gesprochen.
«Automobile Revue»: Herr Hurter, Sie sind seit September 2021 neuer AGVS-Zentralpräsident. Wie hat sich das erste Jahr entwickelt?
Thomas Hurter: Die Bezeichnung herausfordernd trifft es wohl am besten, weil es an Herausforderungen ja nicht mangelt, weder im Autogewerbe selbst noch für mich als dessen Zentralpräsident. Stichworte dafür sind der Nachschub an Neufahrzeugen, der zuerst unter der Covid-Krise und jetzt unter dem Krieg in der Ukraine leidet, die Verunsicherung der Kunden in Bezug auf die E-Mobilität in Zeiten, in denen sich die Energieknappheit abzeichnet, der ausgetrocknete Occasionsmarkt und natürlich das latente Problem, geeigneten Nachwuchs zu finden und zu fördern, damit wir unsere gut ausgebildeten Fachkräfte halten können.
In welcher Verfassung ist der Verband?
In einer sehr guten Verfassung. Speziell in solchen Zeiten ist man sehr froh, auf eine gut eingespielte Organisation zurückgreifen zu können, die auch während der Krise funktioniert.
Haben Sie konkrete Ziele, die Sie sich für den Verband gesetzt haben? Wenn ja, welche?
Für uns geht es primär darum, den AGVS als kompetenten Verband in die Zukunft zu führen, nicht nur in Bezug auf die Berufsbildung, sondern auch in Bezug auf unsere Fähigkeit als Verband, unsere Mitglieder und damit das Autogewerbe so gut wie möglich zu unterstützen. Damit verbunden ist, dass wir als Verband noch stärker als Partner von unseren Mitgliedern wahrgenommen werden. Die Mitgliedschaft im AGVS muss für das Mitglied einen echten Mehrwert darstellen. Und schliesslich geht es uns auch darum, unseren politischen Einfluss zugunsten unserer Mitglieder und unserer Branche zu stärken. Unsere Branche ist sehr innovativ, und Mobilität ist grundsätzlich nichts Schlechtes. Wir müssen das besser kommunizieren.
Im Herbst 2023 finden die nächsten eidgenössischen Wahlen statt. Wie bereitet sich der AGVS auf diese wichtigen Wahlen vor?
Wir werden die Leistungen in der laufenden Legislatur analysieren und daraus unsere Schlüsse ziehen. Grundsätzlich geht es uns und unseren Partnern darum, dass mehr Politiker gewählt werden, die den Wert des motorisierten Individualverkehrs für unsere Wirtschaft und für unsere Gesellschaft und damit dessen Systemrelevanz erkennen.
Mit Astag-Zentralpräsident Thierry Burkart und Auto-Schweiz-Präsident Albert Rösti bilden Sie ein Triumvirat. Könnte die Zusammenarbeit mit diesen Parlamentariern den Einfluss für den motorisierten Individualverkehr stärken und ein Gegengewicht zur Umweltlobby setzen?
Diese Konstellation ist vorteilhaft, weil sie auch auf persönlicher Ebene gut funktioniert. Uns geht es übrigens nicht um ein Gegengewicht, sondern darum, den Vorteilen des motorisierten Individualverkehrs Gehör zu verschaffen und darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig er für uns alle ist.
Quelle: AGVS-Medien
Das CO2-Gesetz wurde 2021 vom Volk abgelehnt. Nun hat der Bundesrat eine Neuauflage verabschiedet. Wie positioniert sich der AGVS dazu? Wo ist für ihn die Grenze der Zustimmung?
Dank der Ablehnung des CO2-Gesetzes konnte ein neues Gesetz durch den Bundesrat vorbereitet werden, das einen grossen Teil unserer Anliegen aufgenommen hat. Stichworte dazu sind: kein Technologieverbot, keine Umverteilung der Mittel, keine zusätzlichen Abgaben, kein überladenes Gesetz. Jetzt kommt es in die parlamentarischen Beratungen. In diesem Rahmen werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass vor allem Innovation ein wichtiger Treiber für ein gesundes Klima bleibt. Umverteilungen werden wir nach wie vor ablehnen. Es ist zu hoffen, dass das Parlament dem Weg des Bundesrats folgt. Ansonsten droht erneuter Schiffbruch.
Tempo 30 in Schweizer Städten nimmt laufend zu. Wie beurteilen Sie diese Tendenz?
Tempo 30 ist ein klassischer Stellvertreterkampf! Man meint Tempo 30, aber im Grunde genommen geht es doch schlicht und einfach nur darum, das Auto aus den vornehmlich linken Städten zu verbannen. Seitens der Strassenverbände sind wir ja grundsätzlich nicht gegen Tempo 30, es gibt Zonen, in denen das Sinn macht. Aber sicher nicht auf Hauptverkehrsachsen sowie generell Tempo 30, weil sonst unter anderem die Gefahr des Umwegverkehrs beträchtlich steigt. Das würde auch Quartiere zusätzlich belasten. Und das will niemand.
Besteht nicht die Gefahr, dass das Gewerbe wegen Tempo 30 aus der Stadt zieht und die Attraktivität der Städte zusehends abnimmt?
Wir sehen das gleich. Sobald weniger eingekauft wird, werden die Läden in den Städten verschwinden, was in Zukunft wiederum die Attraktivität der Städte schmälert. Was mir nicht in den Kopf will, ist, warum die Befürworter diese Entwicklung nicht sehen. Vermutlich ist es ihnen respektive denjenigen, die in der Stadt wohnen und alle Vorteile direkt vor der eigenen Tür haben, einfach egal.
Der frühere SBB-Chef Benedikt Weibel sagte in einem Zeitungsinterview: «In der Stadt der Zukunft hat das Auto nichts zu suchen.» Ist diese Aussage visionär oder nur Polemik?
Herr Weibel hat vermutlich vergessen, dass nicht alle in der Stadt wohnen und arbeiten und auf ein Auto angewiesen sind. Er würde sich besser dafür einsetzen, dass unser gutes Bahnnetz auch in Zukunft vernünftig finanziert werden kann. Sämtliche Bahntickets in der Schweiz werden zu mehr als 50 Prozent vom Steuerzahler finanziert. Während der Covid-Pandemie war der individuelle Personenverkehr die einzig gut funktionierende Alternative für die gewünschte Mobilität.
Im Raum steht in der EU das Verbot des Verkaufs von Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035. Welches sind die Auswirkungen auf die Schweiz, und wie stellt sich der AGVS dazu?
Da wir zwar über eine leistungsstarke und bedeutende Zulieferindustrie verfügen, aber nicht über eine Autoproduktion, tangiert uns das nicht im selben Ausmass, wie das zum Beispiel in Deutschland der Fall ist. Grundsätzlich halten wir Verbote nie für eine gute Lösung. Da auch nach 2035 noch viele Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren unterwegs sein werden, wäre es sinnvoller, alternative Technologien nicht zu verhindern, sondern die Entwicklung und Bereitstellung von synthetischen und mit grüner Energie produzierten Treibstoffen oder Wasserstoff voranzutreiben. Damit könnte man die Verbrennungsmotoren weiter betreiben und dabei schon heute einen Beitrag zur Verminderung von CO2 leisten, statt lange zu diskutieren. Interessant finde ich, dass die Politik immer meint, bessere Lösungen als die Wirtschaft zu haben.
Quelle: AGVS-Medien
Sollte die EU diesbezüglich eine Kurskorrektur vornehmen und sich nicht nur einseitig auf Batterieautos konzentrieren, also auch Technologieoffenheit anstreben? Es gibt sehr effiziente Benzin- und Dieselmotoren sowie klimaneutrale Treibstoffe oder E-Fuels.
Absolut einverstanden. Nur müssen wir bei allem Enthusiasmus für dieses Thema auch auf dem Boden der Realität bleiben. Dieser Zug ist in Bewegung, den bringen wir nicht mehr zum Stoppen. Die EU hat eine kleine Hintertür offengelassen, indem sie von klimaneutralen Neuwagen spricht und nicht mehr nur von Elektroautos. Ich halte mich da an BMW-Vorstandschef Oliver Zipse, der sagte, in der heutigen Zeit alles auf eine Karte zu setzen, sei ein industriepolitischer Fehler.
Besteht die Gefahr, dass die eingeschlagene Mobilitätswende die individuelle Mobilität verteuert und zu sozialem Unfrieden führen könnte?
Es ist nicht auszuschliessen, dass sich die Mobilität in Zukunft verteuert. Aber soziale Unruhen halte ich weniger für möglich.
Inwiefern verändert die stetige Zunahme der Batterieautos die Arbeiten in den Garagen?
Das liegt auf der Hand: Der Umgang mit und die Reparatur von Elektroautos braucht neue und zusätzliche Kompetenzen. Unsere Nachwuchskräfte werden früh in ihrer Grundbildung auf die Themen sensibilisiert und im sicheren Umgang mit Hochvolttechnik geschult. Für alle anderen Berufsleute sichern wir dieses Wissen mit entsprechenden Weiterbildungskursen. Zudem werden erweiterte Kompetenzen zu Elektrofahrzeugen in die Lehrgänge der höheren Berufsbildung integriert, insbesondere beim Automobildiagnostiker. Auch legen wir neben der Fachkompetenz Wert auf die Beratungskompetenz zu alternativen Antriebskonzepten, dies zum Beispiel mit der neuen Grundbildung zum Automobil-Verkaufsberater. Das Gewerbe ist fit.
Wie sehr ist das Autogewerbe von den anhaltenden Versorgungsproblemen mit Zulieferteilen betroffen, und wie begegnet es ihnen?
Die Situation hat sich inzwischen etwas entspannt. Es kam teilweise zu Engpässen, die von Garagisten wie auch von ihren Partnern, den Zulieferern, in aller Regel gelöst werden konnten. Wichtig dabei ist einfach immer, dass der Garagist so kulant wie möglich auf solche Situationen reagiert.
Es gibt Bestrebungen, dass Autohersteller Autos direkt via Internet verkaufen wollen. Was ändert sich für die Garagen, wenn diese Verkaufsart flächendeckend eingeführt wird? Sind sie dann in erster Linie Dienstleister, die ihre Aufwendungen dem Hersteller oder Importeur verrechnen? Wären dann lediglich Service- und Reparaturarbeiten die wichtigen Einnahmequellen?
Hier treffen Sie einen zentralen Nerv, wobei es beim Agenturmodell nicht primär um den Onlineverkauf geht, sondern um eine komplette Veränderung eines bisher einigermassen gut funktionierenden Systems. Für die betroffenen Markenhändler können die Konsequenzen enorm sein. Das beginnt bei den Margen, geht über die Lagerfahrzeuge bis hin zum Umstand, dass ihre unternehmerische Freiheit drastisch eingeschränkt wird, weil sie zu Erbringern von Dienstleistungen werden, für die sie künftig entschädigt werden sollen. Nur wofür und wie hoch, weiss aktuell noch keiner. Dabei darf nicht vergessen werden, dass das Auto nach wie vor eine sehr spezielle Anschaffung ist, einerseits preislich und andererseits auch emotional. Daher wird der direkte Kontakt mit einem Garagisten in der Nähe sicher auch weiterhin gefragt sein.
AGVS-Zentralpräsident Thomas Hurter hält im Interview mit der Fachzeitschrift «Automobil Revue» und AR-Redaktor Raoul Studer fest, dass es dem Autogewerbe nicht an Herausforderungen mangelt. Lesen Sie hier das ganze Interview aus der aktuellen «Automobil Revue» vom 27. Oktober 2022.
AGVS-Zentralpräsident Thomas Hurter. Quelle: AGVS-Medien
«Mehr Politiker wählen, die den Wert des motorisierten Individualverkehrs erkennen!»
Seit etwas mehr als einem Jahr ist Thomas Hurter AGVS-Zentralpräsident und damit Nachfolger von Urs Wernli. Das erste Amtsjahr war für den Schaffhauser SVP-Nationalrat gleich ein turbulentes. Wir haben mit ihm über die Politik, die Mobilitätswende, die Garagenbetriebe und vieles mehr gesprochen.
«Automobile Revue»: Herr Hurter, Sie sind seit September 2021 neuer AGVS-Zentralpräsident. Wie hat sich das erste Jahr entwickelt?
Thomas Hurter: Die Bezeichnung herausfordernd trifft es wohl am besten, weil es an Herausforderungen ja nicht mangelt, weder im Autogewerbe selbst noch für mich als dessen Zentralpräsident. Stichworte dafür sind der Nachschub an Neufahrzeugen, der zuerst unter der Covid-Krise und jetzt unter dem Krieg in der Ukraine leidet, die Verunsicherung der Kunden in Bezug auf die E-Mobilität in Zeiten, in denen sich die Energieknappheit abzeichnet, der ausgetrocknete Occasionsmarkt und natürlich das latente Problem, geeigneten Nachwuchs zu finden und zu fördern, damit wir unsere gut ausgebildeten Fachkräfte halten können.
In welcher Verfassung ist der Verband?
In einer sehr guten Verfassung. Speziell in solchen Zeiten ist man sehr froh, auf eine gut eingespielte Organisation zurückgreifen zu können, die auch während der Krise funktioniert.
Haben Sie konkrete Ziele, die Sie sich für den Verband gesetzt haben? Wenn ja, welche?
Für uns geht es primär darum, den AGVS als kompetenten Verband in die Zukunft zu führen, nicht nur in Bezug auf die Berufsbildung, sondern auch in Bezug auf unsere Fähigkeit als Verband, unsere Mitglieder und damit das Autogewerbe so gut wie möglich zu unterstützen. Damit verbunden ist, dass wir als Verband noch stärker als Partner von unseren Mitgliedern wahrgenommen werden. Die Mitgliedschaft im AGVS muss für das Mitglied einen echten Mehrwert darstellen. Und schliesslich geht es uns auch darum, unseren politischen Einfluss zugunsten unserer Mitglieder und unserer Branche zu stärken. Unsere Branche ist sehr innovativ, und Mobilität ist grundsätzlich nichts Schlechtes. Wir müssen das besser kommunizieren.
Im Herbst 2023 finden die nächsten eidgenössischen Wahlen statt. Wie bereitet sich der AGVS auf diese wichtigen Wahlen vor?
Wir werden die Leistungen in der laufenden Legislatur analysieren und daraus unsere Schlüsse ziehen. Grundsätzlich geht es uns und unseren Partnern darum, dass mehr Politiker gewählt werden, die den Wert des motorisierten Individualverkehrs für unsere Wirtschaft und für unsere Gesellschaft und damit dessen Systemrelevanz erkennen.
Mit Astag-Zentralpräsident Thierry Burkart und Auto-Schweiz-Präsident Albert Rösti bilden Sie ein Triumvirat. Könnte die Zusammenarbeit mit diesen Parlamentariern den Einfluss für den motorisierten Individualverkehr stärken und ein Gegengewicht zur Umweltlobby setzen?
Diese Konstellation ist vorteilhaft, weil sie auch auf persönlicher Ebene gut funktioniert. Uns geht es übrigens nicht um ein Gegengewicht, sondern darum, den Vorteilen des motorisierten Individualverkehrs Gehör zu verschaffen und darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig er für uns alle ist.
Quelle: AGVS-Medien
Das CO2-Gesetz wurde 2021 vom Volk abgelehnt. Nun hat der Bundesrat eine Neuauflage verabschiedet. Wie positioniert sich der AGVS dazu? Wo ist für ihn die Grenze der Zustimmung?
Dank der Ablehnung des CO2-Gesetzes konnte ein neues Gesetz durch den Bundesrat vorbereitet werden, das einen grossen Teil unserer Anliegen aufgenommen hat. Stichworte dazu sind: kein Technologieverbot, keine Umverteilung der Mittel, keine zusätzlichen Abgaben, kein überladenes Gesetz. Jetzt kommt es in die parlamentarischen Beratungen. In diesem Rahmen werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass vor allem Innovation ein wichtiger Treiber für ein gesundes Klima bleibt. Umverteilungen werden wir nach wie vor ablehnen. Es ist zu hoffen, dass das Parlament dem Weg des Bundesrats folgt. Ansonsten droht erneuter Schiffbruch.
Tempo 30 in Schweizer Städten nimmt laufend zu. Wie beurteilen Sie diese Tendenz?
Tempo 30 ist ein klassischer Stellvertreterkampf! Man meint Tempo 30, aber im Grunde genommen geht es doch schlicht und einfach nur darum, das Auto aus den vornehmlich linken Städten zu verbannen. Seitens der Strassenverbände sind wir ja grundsätzlich nicht gegen Tempo 30, es gibt Zonen, in denen das Sinn macht. Aber sicher nicht auf Hauptverkehrsachsen sowie generell Tempo 30, weil sonst unter anderem die Gefahr des Umwegverkehrs beträchtlich steigt. Das würde auch Quartiere zusätzlich belasten. Und das will niemand.
Besteht nicht die Gefahr, dass das Gewerbe wegen Tempo 30 aus der Stadt zieht und die Attraktivität der Städte zusehends abnimmt?
Wir sehen das gleich. Sobald weniger eingekauft wird, werden die Läden in den Städten verschwinden, was in Zukunft wiederum die Attraktivität der Städte schmälert. Was mir nicht in den Kopf will, ist, warum die Befürworter diese Entwicklung nicht sehen. Vermutlich ist es ihnen respektive denjenigen, die in der Stadt wohnen und alle Vorteile direkt vor der eigenen Tür haben, einfach egal.
Der frühere SBB-Chef Benedikt Weibel sagte in einem Zeitungsinterview: «In der Stadt der Zukunft hat das Auto nichts zu suchen.» Ist diese Aussage visionär oder nur Polemik?
Herr Weibel hat vermutlich vergessen, dass nicht alle in der Stadt wohnen und arbeiten und auf ein Auto angewiesen sind. Er würde sich besser dafür einsetzen, dass unser gutes Bahnnetz auch in Zukunft vernünftig finanziert werden kann. Sämtliche Bahntickets in der Schweiz werden zu mehr als 50 Prozent vom Steuerzahler finanziert. Während der Covid-Pandemie war der individuelle Personenverkehr die einzig gut funktionierende Alternative für die gewünschte Mobilität.
Im Raum steht in der EU das Verbot des Verkaufs von Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035. Welches sind die Auswirkungen auf die Schweiz, und wie stellt sich der AGVS dazu?
Da wir zwar über eine leistungsstarke und bedeutende Zulieferindustrie verfügen, aber nicht über eine Autoproduktion, tangiert uns das nicht im selben Ausmass, wie das zum Beispiel in Deutschland der Fall ist. Grundsätzlich halten wir Verbote nie für eine gute Lösung. Da auch nach 2035 noch viele Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren unterwegs sein werden, wäre es sinnvoller, alternative Technologien nicht zu verhindern, sondern die Entwicklung und Bereitstellung von synthetischen und mit grüner Energie produzierten Treibstoffen oder Wasserstoff voranzutreiben. Damit könnte man die Verbrennungsmotoren weiter betreiben und dabei schon heute einen Beitrag zur Verminderung von CO2 leisten, statt lange zu diskutieren. Interessant finde ich, dass die Politik immer meint, bessere Lösungen als die Wirtschaft zu haben.
Quelle: AGVS-Medien
Sollte die EU diesbezüglich eine Kurskorrektur vornehmen und sich nicht nur einseitig auf Batterieautos konzentrieren, also auch Technologieoffenheit anstreben? Es gibt sehr effiziente Benzin- und Dieselmotoren sowie klimaneutrale Treibstoffe oder E-Fuels.
Absolut einverstanden. Nur müssen wir bei allem Enthusiasmus für dieses Thema auch auf dem Boden der Realität bleiben. Dieser Zug ist in Bewegung, den bringen wir nicht mehr zum Stoppen. Die EU hat eine kleine Hintertür offengelassen, indem sie von klimaneutralen Neuwagen spricht und nicht mehr nur von Elektroautos. Ich halte mich da an BMW-Vorstandschef Oliver Zipse, der sagte, in der heutigen Zeit alles auf eine Karte zu setzen, sei ein industriepolitischer Fehler.
Besteht die Gefahr, dass die eingeschlagene Mobilitätswende die individuelle Mobilität verteuert und zu sozialem Unfrieden führen könnte?
Es ist nicht auszuschliessen, dass sich die Mobilität in Zukunft verteuert. Aber soziale Unruhen halte ich weniger für möglich.
Inwiefern verändert die stetige Zunahme der Batterieautos die Arbeiten in den Garagen?
Das liegt auf der Hand: Der Umgang mit und die Reparatur von Elektroautos braucht neue und zusätzliche Kompetenzen. Unsere Nachwuchskräfte werden früh in ihrer Grundbildung auf die Themen sensibilisiert und im sicheren Umgang mit Hochvolttechnik geschult. Für alle anderen Berufsleute sichern wir dieses Wissen mit entsprechenden Weiterbildungskursen. Zudem werden erweiterte Kompetenzen zu Elektrofahrzeugen in die Lehrgänge der höheren Berufsbildung integriert, insbesondere beim Automobildiagnostiker. Auch legen wir neben der Fachkompetenz Wert auf die Beratungskompetenz zu alternativen Antriebskonzepten, dies zum Beispiel mit der neuen Grundbildung zum Automobil-Verkaufsberater. Das Gewerbe ist fit.
Wie sehr ist das Autogewerbe von den anhaltenden Versorgungsproblemen mit Zulieferteilen betroffen, und wie begegnet es ihnen?
Die Situation hat sich inzwischen etwas entspannt. Es kam teilweise zu Engpässen, die von Garagisten wie auch von ihren Partnern, den Zulieferern, in aller Regel gelöst werden konnten. Wichtig dabei ist einfach immer, dass der Garagist so kulant wie möglich auf solche Situationen reagiert.
Es gibt Bestrebungen, dass Autohersteller Autos direkt via Internet verkaufen wollen. Was ändert sich für die Garagen, wenn diese Verkaufsart flächendeckend eingeführt wird? Sind sie dann in erster Linie Dienstleister, die ihre Aufwendungen dem Hersteller oder Importeur verrechnen? Wären dann lediglich Service- und Reparaturarbeiten die wichtigen Einnahmequellen?
Hier treffen Sie einen zentralen Nerv, wobei es beim Agenturmodell nicht primär um den Onlineverkauf geht, sondern um eine komplette Veränderung eines bisher einigermassen gut funktionierenden Systems. Für die betroffenen Markenhändler können die Konsequenzen enorm sein. Das beginnt bei den Margen, geht über die Lagerfahrzeuge bis hin zum Umstand, dass ihre unternehmerische Freiheit drastisch eingeschränkt wird, weil sie zu Erbringern von Dienstleistungen werden, für die sie künftig entschädigt werden sollen. Nur wofür und wie hoch, weiss aktuell noch keiner. Dabei darf nicht vergessen werden, dass das Auto nach wie vor eine sehr spezielle Anschaffung ist, einerseits preislich und andererseits auch emotional. Daher wird der direkte Kontakt mit einem Garagisten in der Nähe sicher auch weiterhin gefragt sein.
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